Im WM-Finale 2012 zwischen Viswanathan Anand und Boris Gelfand endete auch die dritte Runde mit einem Remis.
Aus Sicht von DJEM-Trainer Thomas Michalczak dennoch die bisher spannendste Partie des Wettkampfs! Lest seine Kommentare und seht selbst.

Ab sofort könnt ihr euch auch die kompletten Partien mit Kommentaren als PGN-Dateien herunterladen:

Download Partie 1, 11.05.2012, Thomas Fiebig
Download Partie 2, 12.05.2012, Klaus Friedrichs
Download Partie 3, 13.05.2012, Thomas Michalczak

Und jetzt zur Partie:

WM-Finale 2012, Viswanathan Anand - Boris Gelfand, Moskau.
Runde 3

1. d4 Sf6
2. c4 g6
3. f3
Hier musste ich schon schmunzeln, denn der starke deutsche IM Christoph Sielecki alias Chessexplained hat nach der ersten Partie der WM in einem Video auf YouTube genau diese Fortsetzung empfohlen. Wenn man gegen Königsindisch die Sämisch Variante im Repertoire hat und auch gegen Benoni f3 spielt ist dieser Zug eine interessante repertoirehomogene Option. 3. f3 ist ein alter Zug, der schon 1929 von Flohr, Nimzowitsch und Aljechin mit Weiß gewählt wurde. Aljechin wandte die Variante 1929 im WM Kampf gegen Bogoljubov an. Auch Euwe und Botvinnik, sowie später Kortschnoi, Kramnik, Khalifman und viele andere zeitgenössische Großmeister wandten und wenden den Zug an. Besonders beachtlich sind gegenwärtig die Erfolge des Czechen Laznicka mit der Variante 3. f3. Häufig wird die Variante als "Anti-Grünfeld" bezeichnet. Anand spielte bereits dreimal zuvor 3. f3, weshalb Boris Gelfand gut vorbereitet gewesen sein dürfte.

3... d5

Dieser Zug ist die prinzipielle Wahl eines Grünfeldindisch Spielers. Nachdem Gelfand bereits in der ersten Runde der WM Grünfeldindisch eröffnete war zu erwarten, dass er diese moderne Eröffnung wiederholen würde. Grünfeld Indisch bereitet man nicht mal eben so vor, es gibt viel zu viele Varianten die Schwarz gut kennen muss. Ich möchte kurz einige schwarze Alternativen betrachten, um vielleicht einigen Weißspielern den Anreiz zu geben sich der Fortsetzung 3. f3 auseinander zu setzen. Wenn jemanden die Theorie nicht interessiert, möge er die Alternativen im dritten Zug überspringen. [Anm. d. Webteams: Da die ausführlichen Varianten hier den Rahmen sprengen, finden sie sich nur in der PGN-Datei.]

4. cxd5 Sxd5 5. e4
Es hat gewisse Vorteile für Weiß den Springer noch nicht nach c3 gezogen zu haben. Die typische Idee der Grünfeldindischen Verteidigung Figurentausch auf c3 und Unterminierung des Zentrums funktioniert hier nicht. Der weiße Raumvorteil gewinnt an Bedeutung, da mehr Figuren auf dem Brett verbleiben.

5... Sb6 6. Sc3 Lg7 7. Le3 O-O
Besser als 7...Sc6 was bei der WM 1929 gespielt wurde.

8. Dd2
(Sehr beachtlich ist auch der Versuch mit 8. f4 noch mehr Raum zu erobern.)

8... e5
Dieser Zug überraschte Anand, sagte Joel Lautier laut Jan Timman, der die Partie auf der offiziellen Turnierseite für die englischsprachigen Schachfans im Videostream kommentierte. Anand erwartete eher andere Fortsetzungen, da 8... e5 auf höchster Ebene keinen guten Ruf genießt, meinte Lautier.
[8... Sc6 9. O-O-O f5 gilt als etablierter Weg um Ausgleich zu kämpfen und wurde 2011 von Boris Avrukh im empfehlenswerten 2 bändigen Werk "Grünfeld-Indische Verteidigung" empfohlen.
(9... e5 10. d5 Sd4 11. f4 ist ebenfalls möglich, lieferte aber gute Ergebnisse für Weiß.)]

9. d5 c6 10. h4 cxd5 11. exd5 S8d7
[11... f5 12. h5 [1-0 (51) Delchev,A (2640)-Ganguly,S (2578)/Turin ITA 2006]]
[11... h5 12. g4 hxg4 (12... S8d7 13. gxh5 Sf6 14. hxg6 fxg6 15. Sh3 [1-0 (37) Ivanchuk,V (2716)-Akesson,R (2476)/Antalya 2004]) 13. h5 [1-0 (51) Moiseenko,A (2664)-Timofeev,A (2661)/Saint Vincent 2005]]
[11... e4 12. fxe4 Lg4 13. Sh3 S8d7 14. Sf2 [1/2-1/2 (44) Kasimdzhanov,R (2704)-Nijboer,F (2551)/Vlissingen 2001]]

12. h5 Sf6 13. hxg6 fxg6 14. O-O-O
[Eine Alternative ist vielleicht 14. d6 Lf5 (14... Le6 15. Sh3 Lxh3 16. Txh3 Tc8 [1-0 (43) Laznicka,V (2593)-Areshchenko,A (2644)/Moscow RUS 2007] 17. O-O-O) (14... e4) 15. Sh3 Tc8 16. Sg5 h6 17. Sge4 Lxe4 18. Sxe4 Sxe4 19. fxe4 Tf7 20. Lxb6 axb6 21. Lb5 Kh7 22. d7]

14... Ld7 15. Kb1 Tc8 16. Ka1
Ein prophylaktischer Zug, der sich gegen Lf5+ richtet. Es ist löblich, dass Anand den König in Sicherheit bringt, bevor er angreift.
(16. d6 ist zwar möglich, aber der weiße Bauer hat auf d5 großen Einfluss und kontrolliert die wichtigen Felder c6 und e6, die den schwarzen Figuren in der Partie nicht zur Verfügung standen. Daher entschied sich Anand gegen den direkten Vormarsch des d-Bauern. Offenbar kamen sowohl er als auch Gelfand in der Vorbereitung zu dem Schluss, dass Schwarz hier ausgleichen kann. Jan Timman plädierte für 16... Lf5. Mir ist aber nicht klar was Schwarz unternehmen soll, die Ergebnisse der Praxis sind grausam für Schwarz. 4 aus 4 für Weiß.)

16... e4
Dieser Zug ist eine Neuerung.
[16... Sa4 17. Sge2 e4 18. d6 (18. Ld4) 18... Te8 19. Tc1 Da5 20. Sxa4 Txc1+ 21. Dxc1 Dxa4 22. Sc3 Db4 23. Sxe4 Tc8 24. Lc5 Le6 25. Ld3  Da4 26. Sc3 geschah in einer Partie, Hillarp Persson,T (2450)-Aberg,A Stockholm 2002, die Schwarz nach 38 Zügen gewann.]

17. Ld4 Sa4 18. Sge2
Weiß möchte mit dem Springer auf c3 wieder nehmen. Der Springer c3 verteidigt den weißen König exzellent und wirkt zudem aufs Zentrum.

18... Da5
Hiermit opfert Schwarz vorübergehend einen Bauern und entfaltet einige Aktivität. [Es ist gefährlich für Schwarz das materielle Gleichgewicht zu wahren, da der schwarze König nach dem Tausch auf f3 aufgrund der Schwäche des Feldes e6, das dann dem Läufer f1 zugänglich wird leichter angegriffen werden kann als der weiße, man siehe: 18... exf3 19. gxf3 De7 (19... Tf7 20. Sxa4 Lxa4 21. Lh3 Ld7 22. Le6) 20. Sxa4 Lxa4 21. Lh3 Ld7 22. Lxd7 Sxd7 23. d6 Df7 (23... Dxd6 24. Lxg7 Dxd2 25. Txd2 Kxg7 26. Txd7+) 24. Lxg7 Dxg7 25. Sc3 Txf3 26. Sd5]

19. Sxe4
Der Partiezug hat den Vorteil, dass die Damen getauscht werden und so das Bauernopfer Schwarz keine übermächtige Initiative einräumt, wie es nach 19. fxe4 der Fall ist. [Den Bauern auf die andere Weise anzunehmen gibt Schwarz die besseren Angriffschancen. Es ist interessant wie das Opfer eines Bauern in dieser Stellung dazu dient um die Initiative zu kämpfen. 19. fxe4 Sxc3 (19... Sg4 20. Lxg7 Kxg7 21. e5 Sxe5 22. Dh6+ Kf7 23. Dxh7+ Ke8 24. Dg7 Sf7 {24... Sc4 25. Th7} 25. Th4 Sd6 26. Se4) 20. Lxc3 (20. Sxc3 Sxe4 21. Sxe4 Dxd2 22. Sxd2 {22. Txd2 Tc1#} 22... Lxd4) 20... Da4 21. Dd4 Tfe8 22. e5 (22. Sg3 Txc3 23. bxc3 Sxe4) 22... Txe5 23. Dxa4 (23. Dxe5 Dxd1+ 24. Sc1 Dxc1#) 23... Lxa4 24. Lxe5 Lxd1 25. d6 Tc2]

19... Dxd2 20. Sxf6+ Txf6 21. Txd2 Tf5
Gelfand erweist sich auf der Höhe des Geschehens. Als Kompensation für Schwarz lässt sich feststellen, dass der weiße Mehrbauer, der ja sogar ein Freibauer ist, infolge des weißen Entwicklungsnachteils den er im Prinzip mit 3. f3 heraufbeschworen hat, schwach ist. Schwarz kann ihn leicht mit seinen wendigen Figuren attackieren. (21... Td6 22. b3 Sb6 23. Sf4 Tc1+ 24. Kb2 Te1 25. a4)

22. Lxg7 Kxg7 23. d6
Die stärkste Fortsetzung.

23... Tfc5
Es sieht natürlich aus die Türme zu verdoppeln, aber genauer erscheint der Springerzug nach b6, der Vorsicht walten lässt und den Bauern sicher zurückerobert.
[23... Sb6 24. Sc3 (24. b3 Td5 25. Txd5 Sxd5 26. Sg3 Se3 27. Kb1 h5 28. Th4 Lc6 29. Td4 Kf6 30. Kb2 Td8 31. a3 Ke5 32. Td3 Sxf1 33. Sxf1 Txd6) 24... Td5 25. Td3 (25. Txd5 Sxd5 26. Lb5 Sxc3 27. Lxd7 Td8 28. Tc1 Txd7 29. Txc3 Kf6) 25... Lf5 26. Txd5 Sxd5 27. Ld3 Sxc3 28. Lxf5 gxf5 29. bxc3 Txc3 und das Turmendspiel sollte remis enden. 30. Te1 (30. Td1 Tc8) 30... Td3 31. Te7+]
[möglich ist auch 23... Tf6 24. b3 Sb6 25. Sg3 Lc6 26. Le2 Td8 27. Thd1 Sc8 28. d7 Sb6 29. Se4 Tf5 (aber nicht 29... Tf7 30. Sc5 Te7 31. f4 h5 32. Lf3 Lxf3 33. gxf3 Kf6 34. Td6+ Kf5 35. Tg1 Sxd7 36. Tgxg6 b6 {36... Kxf4 37. Se6+} 37. Sd3) 30. Sd6 (30. Sc3 Txd7) 30... Tg5 31. Se8+ Kf8 32. Ld3 Sd5 33. Le4 Txd7 34. Lxd5 Tgxd5 35. Txd5 Txd5 36. Txd5 Lxd5 37. Sf6 Lg8 38. Kb2 Kf7 39. Sxg8 Kxg8 40. Kc3 Kf7 41. Kd4 Kf6 42. Ke4 h5 43. f4 h4 44. a4 Ke6 45. b4 Kf6 46. Kf3 Kf5 47. g4+ hxg3 48. Kxg3 Ke4 49. Kg4]

24. Td1
(24. b3 Tc1+ 25. Sxc1 Txc1#)

24... a5
Schwer zu sagen, was Gelfand hierzu veranlasste. Garry Kimovitch Kasparov lies oft seinen a-Bauern laufen, wenn ihm nichts mehr einfiel. [24... Sb6 25. Sc3 Sd5 (25... Sa4 26. Te1 {26. Sb1 Sb6 (26... Tc2 27. b3 Sb6 28. Tg1) 27. Ld3 Td8 28. Le4 Lc6 29. Sc3 Sc8 30. Lxc6 Txc6 31. Se4 Sxd6 32. b4 Sf7 33. Txd8 Sxd8 34. Td1 Sf7 35. Td7 Tb6 36. Sg5 Tf6 37. Txb7} {26. Se2 Sb6 Wiederholt die Züge.} 26... Sxc3 27. Te7+ Kf6 28. bxc3 Le6 29. d7 Td8 30. Thxh7 Th5 {30... Txc3 31. Lb5 Tc1+ 32. Kb2 Tc5 33. a4 a6 34. Te8} 31. Kb2 Txh7 32. Txh7 Txd7 33. Txd7 Lxd7 34. g3) 26. Te1 Te8 27. Se4 Sf6 28. b4 Td5 29. Lc4 Td4 30. Sc5 Txc4 31. Sxd7 Txe1 + 32. Txe1 Sxd7 33. Te7+ Kf6 34. Txd7 Txb4 35. Txh7]
[24... h5 25. b3 Sb6 26. Th4 Td5 27. Thd4 Txd4 28. Txd4 Tc6 29. Sg3 h4 30. Txh4 Txd6 31. Kb1 Td2]
[24... Tc2 25. b3 Sb2 26. Td5 Der Springer b2 steht plötzlich gefährdet.]

25. Th4 Tc2
[25... h5 26. Te4 Kf6 27. Tf4+ Kg7 28. b3 Sb6 29. Tfd4 Tc2 (29... Kf6 30. Sg3) 30. Kb1]

26. b3 Sb2 27. Tb1 Sd3 28. Sd4 Td2
Der beste Zug, aber Weiß steht klar besser wenn er richtig weiter spielt.

29. Lxd3 Txd3 30. Te1 Td2
(30... Kf6 31. Te7)

31. Kb1
[genauer war 31. Te7+ Kf6 32. Kb1 Lf5+ 33. Sxf5 gxf5 (33... Kxf5 34. d7 Td8 35. Thxh7) 34. f4 Tg8 35. Th6+ Tg6 36. Thxh7]

31... Lf5+ 32. Sxf5+ gxf5 33. Te7+ Kg6
(33... Kf6 34. f4)

34. Tc7
(34. d7 Tcc2 35. Tc4 Txc4 36. bxc4)

34... Te8 35. Th1
Nun gleichen sich die Chancen aus und einmal mehr bewahrheitet sich die Platitude "alle Turmendspiele sind remis".
[35. Te7 Tc8 (35... Td8 36. Texh7 Txg2 37. d7 Kf6 38. Td4 Ke5 39. Td3 Ke6 40. a4 Tf2 41. Kc1 Weiß hat gute Gewinnchancen, zum Beispiel: Tg2 42. Kd1 Tf2 43. Th1 Tg2 44. Te1+ Kf6 {44... Kf7 45. Te5} 45. Te8) 36. d7 (36. Te6+ Kf7 37. Teh6 Tcc2 {37... Kg8 38. Txh7 Tcc2 39. Tc7}) (36. Tc4 Txc4 37. bxc4 Txd6 38. Txb7 Tc6 39. Tb5 Txc4 40. Txa5) 36... Tcc2 37. Tc4 Txc4 38. bxc4]

35... Tee2
Die Turmverdopplung auf der zweiten Reihe ist ein häufiges Verfahren um schlecht stehende Turmendspiele zu retten.

36. d7 Tb2+ 37. Kc1 Txa2
Altmeister Blackburn nannte Türme auf der 2. Reihe "blinde Schweine", wenn sie unablässig Schach bieten können. Hier verhindert der Turm c7 ein Schach auf c2, aber da die Mattdrohung auf a1 nur mit einem Königszug zu parieren ist, wonach wieder Schach geboten werden kann ist der Remis Schluss verständlich. Eine interessante Kampfpartie, in der Vishy Anand über lange Zeit Vorteile besaß und im Turmendspiel gute Gewinnchancen vergab. Aus meiner Sicht war dies die bisher spannendste Partie dieses Wettkampfes.
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